Die EU-Kommission hat eine Vertragsverletzungsklage gegen Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) erhoben. Nach Ansicht der Kommission hat Deutschland von 2010 bis 2018 die festgelegten Grenzwerte für Stickstoffdioxid systematisch und fortdauernd überschritten. Das EuGH hat Deutschland dehalb jetzt verurteilt. Die Grenzwerte seien von 2010 bis 2016 in 26 Städten systematisch und fortdauernd überschritten worden, heißt es in der Urteilsbegründung. Strafen oder Sanktionen sind mit dem Urteil gegen die Bundesrepublik zunächst zwar nicht verbunden, ausgeschlossen sind neue Auflagen jedoch nicht.
Die Europäische Kommission wirft Deutschland sowie Frankreich, Ungarn, Italien, Rumänien und Großbritannien vor, dass diese Staaten weder die Richtlinie für die Luftqualität eingehalten haben noch sich ausreichend um saubere Luft bemühten. Die seit 1999 geltende Vorschrift enthält Grenzwerte für Stickoxide, die spätestens im Jahr 2010 eingehalten werden mussten. Die verklagten Staaten hätten in den vergangenen zehn Jahren genügend Gelegenheiten gehabt, Verbesserungen umzusetzen, diese aber nicht genutzt. Nach Ansicht von Kritikern ist Rücksicht auf die Interessen der Autoindustrie der Hauptgrund dafür.
Stickoxide entstehen bei Verbrennungsvorgängen, vor allem in Motoren von Fahrzeugen, sowie in Heizungen und Industrie. Hohe Konzentrationen treten an viel befahrenen Straßen auf, vor allem aus Dieselmotoren ohne effiziente Abgasreinigung. In der Klage gegen Deutschland wird unter anderem angeführt, dass die Stickoxid-Grenzwerte in 26 Städten, darunter Berlin, München, Köln und Hamburg überschritten wurden.
Stickoxide schädigen die Gesundheit. Sie reduzieren die Lungenfunktion und schädigen die Schleimhäute. Das führt zu einer Zunahme von Herz- und Kreislauferkrankungen, begünstigt Allergien, die Sterblichkeit ist erhöht. Nach einer Studie des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2018 sind rund 6000 Todesfälle pro Jahr auf Stickoxide zurückzuführen – mit abnehmender Tendenz, da die Belastung ebenfalls abnimmt.
Um die Belastung zu senken, wurden in betroffenen Städten Pläne zur Luftreinhaltung umgesetzt. Dazu gehören Maßnahmen wie eine Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs, Optimierung des Verkehrsflusses und eine bessere Straßenreinigung. Dies reichte jedoch in vielen Städten nicht aus, um die Luftbelastung unter den Grenzwert zu drücken, zumal der VW-Konzern und andere Autohersteller die Abgasreinigung von Dieselautos mit Abschaltvorrichtungen versah, so dass sie weiter große Mengen an Stickoxiden ausstoßen. Die Deutsche Umwelthilfe setzte mit Klagen in einigen Städten Fahrverbote für Dieselfahrzeuge ohne effiziente Abgasreinigung durch, unter anderem in Stuttgart und Hamburg. Dies trug erheblich zur Verringerung der Luftbelastung an den entsprechenden Orten bei.
Im Jahr 2020 haben sich nach Angaben des Umweltbundesamtes die Stickoxidwerte weiter verbessert. Die Corona-Pandemie ist dabei ein Faktor unter vielen. Auch durch Luftreinhalteprogramme und die Erneuerung der Fahrzeugflotte sinken die Werte seit Jahren. Über dem Grenzwert liegen nur noch sechs Städte, darunter München, Stuttgart und Hamburg. Es ist allerdings möglich, dass die Luftbelastung in nächster Zeit wieder größer wird, weil viele Menschen wegen der Infektionsgefahr öffentliche Verkehrsmittel meiden und auf das Auto umsteigen – auch auf schmutzige Diesel.
Da sich die Belastung der Luft inzwischen günstig entwickelt hat, wird das Urteil vermutlich keine einschneidenden Änderungen in der aktuellen Politik mehr bewirken. Es könnte aber Grundsätze für künftige Fälle festschreiben und den Druck auf die Regierung erhöhen, bei der Luftreinhaltung künftig konsequenter zu sein.